„Direktansprache kann doch jeder“ - Von wegen!

Immer die gleiche Leier

„Ich rufe von einer Personalberatung an, können Sie einen Augenblick frei sprechen?“ Diesen Satz kennen die Kandidaten aus bestimmten Branchen zu gut. In manchen Fällen werden sie am Tag mindestens 2-3 Mal kontaktiert. Viele nutzen zur Direktansprache Leitfäden und sprechen die Kandidaten nach einem vorgegebenen Text an. Die Texte klingen in der Tat professionell und sind in ihrer Konzeption schlüssig. Wenn man gerne telefoniert und keine Scheu hat, kann man also durch diese kleine Hilfestellung Kandidaten anrufen und auf eine Position ansprechen. Von wegen! 

Der Mensch im Mittelpunkt

Kandidaten, die man kontaktiert, wenn auch aus gut gemeintem Grund, sind im Gegensatz zum Anrufenden mit den ausführlichen Leitfäden in der Hand, überhaupt nicht auf das Gespräch vorbereitet. Die Kandidaten hatten vielleicht gerade ein Meeting, in dem der Druck auf sie erhöht wurde, vielleicht auch ein kritisches Gespräch mit ihrem Vorgesetzten oder ein wichtiger Kunde ist ihnen verloren gegangen. Vielleicht fühlen sie sich aber auch einfach aktuell nicht fit und kämpfen mit den Folgen eines Infekts oder haben familiäre Probleme. Kandidaten sind nicht nur Nummern auf unseren teilweise langen Ansprachelisten, sondern in erster Linie Menschen. Menschen mit Emotionen, Stimmungen und alltäglichen Sorgen.  Nicht immer ist unser Anruf passend und manchmal kommt er zu der ungünstigsten Zeit, wenn auch noch die Kollegen in der Nähe sind und deshalb etwas mitbekommen könnten. 

Empathie im Mittelpunkt

Eine Ansprache ist unter Berücksichtigung dieser Aspekte also deutlich mehr, als nur eine simple, leitfadengestützte Interessensabfrage. Jedes Gespräch ist so individuell, wie es Menschen nun einmal sind. In der Ansprache braucht es dementsprechend nicht nur eine nette Telefonstimme und den Mut wildfremde Menschen zu kontaktieren, sondern vor allem Empathie. Das bedeutet die Gabe zu besitzen, sich innerhalb der ersten Sekunden des Telefonats ein Bild über die aktuelle Gefühlswelt des Gesprächspartners zu verschaffen. Hört man Stimmen im Hintergrund? Meldet sich der Kandidat ganz kurz und knapp oder freundlich und offen? Wie ist die erste Reaktion nachdem man sich kurz vorgestellt hat? Diesen angemessenen Umgang mit Menschen kann man nur sehr schwer lernen. Es ist eine innere Haltung, aber eben auch ein Talent. Bei der Entwicklung der STIER-Formel haben wir deshalb ganz bewusst die Bezeichnung „Empathic First Call“ gewählt, denn die Bezeichnung „Erst-“ oder „Direktansprache“ wird der emotionalen Komplexität dieses Research-Bereichs nicht gerecht. 

Man trifft sich immer zwei Mal im Leben

Ein Kandidat ist auf den ersten Blick nur einer von vielen Namen auf unserer Liste. Wenn er kein Interesse hat, was eher die Regel, als die Ausnahme ist, bringt er uns uns zunächst nicht weiter. Man könnte meinen, dass er keine weitere Bedeutung für uns hat. Aber ist das wirklich so? Es gibt nicht wenige, die vor allem dann, wenn die Kandidaten kein Interesse äußern, die Gespräche abrupt abbrechen und im Vergleich zur übermäßig freundlichen und langen Einleitung nun kaum noch Worte übrig haben. Die Erfahrung lehrt, dass es wichtig ist, jeden Kandidaten, auch dann wenn er kein Interesse hat, mit Respekt zu behandeln und das Gefühl zu geben, dass dieser Anruf und das kurze Kennenlernen unabhängig vom Ergebnis wertvoll war. Denn auch wenn unsere Branche vor allem an Besetzungen gemessen wird, sind wir auch gegenüber der Kandidaten in der Pflicht. Uns sollten ihre Interessen und Wünsche ebenso wichtig sein. Auch wenn Kandidaten heute sehr häufig kontaktiert werden, prägen sie sich vieles sehr gut ein und ein nicht passender, oder nicht interessierter Kandidat, kann schon im nächsten Projekt die ersehnte Nadel im Heuhaufen sein.